Ein imaginäres Interview und ein tierisches Porträt

Unterwegs im Kloster St. Johann mit Babette

kloster
Das Kloster St. Johann ist weit über die Schweizer Grenze hinaus bekannt, vor allem auch, weil es 1983 wegen seiner wertvollen karolingischen und romanischen Fresken zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt wurde. Weniger bekannt ist, dass der heute noch lebendige Ort der dritte Grund ist, weshalb das Kloster zum Weltkulturerbe wurde. Ein bisschen frech vielleicht, aber auch Babette zählt sich dazu – zu diesem lebendigen Kloster. Babette, die Klosterkatze, bewohnt zusammen mit acht Schwestern diesen über 1200 Jahre alten Komplex und darf mit Recht behaupten: Sie hat das schönste Zuhause auf der Welt. Gerne erzählt sie ein bisschen über ihr Leben in diesem weitläufigen, geschichtsträchtigen Gebäude.
Babette

Das Val Müstair ist nicht nur für seine ursprüngliche, unverbaute Natur- und Kulturlandschaft bekannt, sondern auch für seine überdurchschnittlich vielen Sonnentage – rund 1800 Sonnenstunden pro Jahr.

Ein wahres Paradies also auch für Katzen, die es lieben, stundenlang sorglos in der Sonne zu dösen – oder etwa nicht?

Ja, es ist ein wahres Sonnenparadies und ich liebe es, mich auf den warmen Steinbänken oder im Kräutergarten zu räkeln. Aber den ganzen Tag faulenzen? Das ist hier gar nicht so einfach. Es gibt nämlich immer etwas zu sehen, zu schnuppern oder zu beobachten – hier ist ständig etwas los. Das ganze Jahr hindurch haben wir nur einen einzigen Ruhetag, das ist der 25. Dezember, Weihnachten. 

Den Rest des Jahres besuchen uns rund 40’000 Besucher*innen.

Wir haben seit 2003 ein wunderschönes Museum, das ist ein grosser ehemaliger Klausurbereich, den die Schwestern schon mit einer grossen Portion Herzschmerz abgetreten haben. Das Museum ist hauptsächlich im Plantaturm untergebracht – benannt nach der berühmten Äbtissin Angelina Planta, der grössten Bauherrin des Klosters. Dieser besondere Ort beherbergt einen Keller, ein Refektorium, ein Dormitorium und zuoberst noch barocke Einzelzellen, die erst kürzlich frisch eingerichtet wurden und mit ihren neuen Videostationen auch die Schwestern erzählen lassen, was sie bewog, ins Kloster einzutreten und wie sie den Klosteralltag leben. Nebst dem Plantaturm gibt es aber auch noch eine Äbtissinnen Suite zu bewundern, und obwohl die Suite Hohenbalkenzimmer heisst, gebe ich den Rat, beim Eintritt die Köpfe einzuziehen. Ein bischöfliches Plumsklo gibt es dort übrigens auch noch – ein Relikt aus dem 10. Jahrhundert, als der Turm ursprünglich für den Bischof von Chur gebaut wurde.

Pia Willi

Des Weiteren kann man eine Räucherkammer besichtigen, die bis 1989 von den Schwestern noch als solche benutzt wurde, ein Krankenzimmer aus dem 19. Jahrhundert und den Winterchor der Schwestern aus derselben Zeit. Dann gibt es oberhalb des Winterchors noch das Solarium, auch Juhée genannt, zu bestaunen. Was das ist? Am besten lässt man sich das auf einer der zweimal täglich von Juni bis Ende Oktober stattfindenden öffentlichen Museumsführungen erzählen, wo man einen wunderbaren kulturellen und geschichtlichen Überblick der 1200-jährigen Klostergeschichte erhält. Prächtige romanische Fresken schmücken noch den Nordannex, den Schluss des Rundgangs. 

Ab und zu gelingt es mir, mich ins Museum einzuschleichen, denn schon Benedikt sagte, in jedem Konvent soll Freude die Räume erfüllen. Auf der Suche nach dieser Freude mache ich mich darum ab und zu auf in den Plantaturm. Es dauert dann aber nicht lange, bis mich die Schwestern suchen. Dann kann es schon mal vorkommen, dass eine unruhige Schwester laut meinen Namen rufend das Museum auf der Suche nach mir durchläuft und dabei auf ganz erstaunte Besuchergruppen trifft. Die Schwestern lassen sich dann nicht davon abhalten, auch noch die letzten steilen Stufen bis zu den Einzelzellen hinaufzusteigen, so sehr liege ich ihnen am Herzen. 

Pia Willi

Also hattest du richtig Glück, hier landen zu dürfen! Kannst du uns auch etwas über die Klostergeschichte erzählen?

Mein Kloster war zuerst ein Männerkloster. Gemäss den dendrochronologischen Daten reichen die Anfänge des Klosters bis ins Jahr 775 zurück. Eine Legende erzählt, dass Karl der Grosse der Gründer gewesen sein soll. Karl, der schon Frankenkönig war, wurde 774 zum Langobardenkönig gekrönt. Sein Rückweg nach der Krönung führte über den Umbrailpass, wo er in einen Schneesturm geraten ist. Aus Dank diesem Schneesturm heil entronnen zu sein, habe er hier im Tal ein Kloster bauen lassen. Und eben dieses Kloster wurde bis ins 12. Jahrhundert von benediktinischen Mönchen bewohnt. Im 12. Jahrhundert wurde dann aus dem Männerkloster ein Frauenkonvent und ist es bis heute ohne Unterbruch geblieben. Vielleicht ist das gut für mich, denn ob ich als Kater auch hätte einziehen dürfen? Das war ein Spass, die lieben Schwestern hätten mich bestimmt auch als Kater aufgenommen. 

Pia Willi

DAS BENEDIKTINERKLOSTER ST. JOHANN – EIN GESCHENK DER VERGANGENHEIT AN DIE GEGENWART

Du wandelst also quasi auf den Spuren eines Kaisers. Wenn du hier durch die Gänge streifst, was ist das Schöne am Katzendasein im Kloster? 

Ich bin eine privilegierte Katze und wohne in einem Kloster, das eine mehr als 1200-jährige Geschichte erzählt. Das Kloster wurde in diesen 1200 Jahren immer wieder umgebaut, es wurde angebaut, aber nie vollständig zerstört.

Aus der Klostergründungszeit, also aus dem 8. Jahrhundert, sind heute noch die Klosterkirche (allerdings in gotischer Form) und die Heiligkreuzkapelle erhalten. Diese zwei Herzstücke der Anlage darf ich jedoch nicht erkunden, das ist mir strengstens verboten. Aber es gibt schöne Plätzchen daneben, wo ich es vor allem im Sommer liebe, dem Gesang der Schwestern auf der Empore zu lauschen, wenn sie zweimal am Tag singen und beten. Die Kirche gehört ja auch zu den Kraftorten der Schweiz, sensible Menschen können hier eine gewisse Energie spüren. Natürlich kann das nicht wissenschaftlich bewiesen werden, aber auch ich als sensible Katze kann mich in der Nähe der Kirche oft ein bisschen auftanken, wenn ich müde bin von meinen Erkundungstouren. Auf den Friedhof verirre ich mich zwar ganz selten, denn ich lasse den Gegangenen ihre Ruhe – aber im Wirtschaftshof und im Garten – da tummle ich mich besonders gerne, so viele Blumen und Kräuter, oft schwirren mir davon die Sinne.

Es wird mir nachgesagt, dass ich die Autos von Stammgästen im Wirtschaftshof dem Klang nach erkenne, wenn sie zur Erholung eintreffen – denn das Kloster besitzt auch ein Gästehaus mit heimeligen Doppel- und Einzelzimmern, das mit viel Freude und Professionalität vom Kloster selbst geführt wird.

Pia Willi

Schwester Domenica ist als Kind neben dem Kloster aufgewachsen, und sie hat die Schönheit des Klosters später wie folgt festgehalten: «Oh, wie oft habe ich das Kloster bewundert vom Stubenfenster meines Elternhauses aus. Gerne sass ich auf der breiten Fensterbank und liess meinen Blick hinüberschweifen zu seinen stämmigen Türmen. Majestätisch und erhaben erstrahlte es in seinem Glanz und verbreitete eine wundervolle Ruhe. Manchmal war es, als erhelle sein Lichtstrahl das ganze Tal. Das Kloster St. Johann war unser Felsen und unsere Freude.»

Pia Willi

Was gibt es sonst noch aus dem Nähkästchen zu plaudern – oder in diesem Fall: aus dem Katzenkörbchen?

Im Museum haben sie letztes Jahr eine neue Ausstellung eingerichtet. Jede Schwester durfte ein Lieblingsobjekt auswählen, und dazu wird etwas erzählt. Und wusstet ihr, dass die Schwester Benedikta, der ich sehr verbunden bin, ein grosser Eishockeyfan des EHC Kloten ist? Dass ihr Lieblingsobjekt ein Puck ist und ein Schal der Klotener Flyers, der aus einer limitierten Auflage stammt? Ganz im Geheimen nennt man sie die Hauptgebetsmaschine der Klotener... 

Die Schwestern haben noch mehr spannende Lieblingsobjekte ausgestellt, aber alles will ich dann doch nicht verraten. Besser, man kommt mal vorbei und besucht die Ausstellung.

Und apropos Ausstellung: Zurzeit kann man zudem auch Zeichnungen von Pia Willi bei uns bewundern – unter anderem die Originalzeichnungen, mit denen mein Bericht hier veranschaulicht wird, aber auch wahre Kunstwerke aus der Zeit vor ihrem Eintritt ins Kloster. Schwester Pia hatte nämlich vor dem Eintritt ins Kloster Kunstschulen in Zürich und Paris besucht, und ihre Malerei erfreut sich grosser Beliebtheit.

Pia Willi

Hinter den Klostermauern steckt ja mehr Leben drin, als man auf den ersten Blick vermuten würde! Aber sag mal, Babette – was macht das Kloster St. Johann  so einzigartig?

Das Kloster St. Johann ist ein einzigartiges kulturelles und historisches Juwel in unserem Tal. Es ist ein verträumtes Alpenkloster, das viele Besucher veranlasst, ihm einen Besuch abzustatten, auch wenn sie nur auf der Durchreise sind. Die, die länger bleiben, können unsere fantastische Bergwelt erkunden. Auf unseren Wander- und Radwegen hat man noch Platz, im Val Müstair fühlt man sich nie bedrängt. Im Val Müstair kann man die Freiheit noch regelrecht atmen. 

Und dann gibt es noch den Lai da Rims – ein kristallklarer Bergsee, wunderschön anzusehen, und er gehört dem Kloster. Früher haben die Schwestern ihn einmal im Jahr besucht, heute zehren sie von den Erinnerungen daran. Ich war leider nie dabei. 

Pia Willi

EIN KLOSTERJUWEL, ENTSTANDEN IN ÜBER 1200 JAHREN. OFT KOMMT ES EINEM VOR, ALS GINGE EIN FLÜSTERN DURCH DIE ALTEN MAUERN. WAS SIE UNS WOHL ALLES ERZÄHLEN KÖNNTEN?

Du hast wirklich ein besonderes Zuhause, Babette. Was macht dein Leben im Kloster für dich so einzigartig?

Für mich bedeutet das Kloster Heimat und Frieden, oder um es mit den Worten von Suor Domenica wiederzugeben: «Unser Haus ist ein kleiner Mikrokosmos mit vielen lieben Seelen, die wohlwollend und mit unermüdlichem Eifer die Geschichte des Klosters weiterschreiben. Kein Tag ist hier wie der andere, nichts ist morgen, wie es gestern war. Alles ist immer im Wandel und doch hat man manchmal von aussen betrachtet das Gefühl, es hätte sich nichts getan.»

Oder, wie es unsere Priorin so treffend zu sagen pflegt: «Wer andere glücklich macht, ist selbst glücklicher und strahlt in einem inneren Licht.» 

Ich bin kein Nero Corleone, grosse Abenteuer sind nicht meins. Als Klosterkatze geniesse ich den Frieden, den das Kloster ausstrahlt und sonne mich in der daraus resultierenden Ruhe. Ich liebe es aber auch, die Gäste zu beobachten, die bei uns einkehren, und wünsche ihnen insgeheim:

Freude, dem der kommt.
Segen dem, der hier verweilt.
Friede dem, der weiterzieht.

Vielleicht kommen Sie mich und das Kloster auch einmal besuchen? Ich würde mich freuen.