Der Metzger, der Bauer wurde

Lorenz Tschenett

Lorent Tschenett aus dem Val Müstair
Lorenz Tschenett ist sowohl Bio-Bauer als auch Metzger.
Lorenz Tschenett ist sowohl Bio-Bauer als auch Metzger. Er führt die Bacharia Val Müstair mit eigenem Schlachthof und Fleischverarbeitung. Ein wichtiger Betrieb im Naturpark Biosfera Val Müstair. Weil er die landwirtschaftliche Vielfalt fördert, das Tierwohl verbessert und Arbeitsplätze schafft.

Es ist Sommer. Lorenz Tschenett mag die warme Jahreszeit. Er liebt es zu heuen und viel Zeit auf seinem Maiensäss oberhalb Müstair zu verbringen. Dort oben auf 2000 Metern über Meer wachsen allerlei Alpenblumen und vitaminreiche Kräuter – das Futter für sein Vieh. Lorenz ist Bio-Bauer, so wie fast alle Bauern im Val Müstair. Er hat 18 Mutterkühe und 18 Kälblein, die er jedes Jahr selber schlachtet.

Lorenz Tschenett
Das Maiensäss auf der Alp Terza der Familie Tschenett.

Lorenz ist nämlich auch Metzger. In der Bacharia Val Müstair verarbeitet er Jungrinder und Kälber, Lämmer und Schweine aus dem ganzen Tal. Hinzu kommen zahlreiche Wildtiere. Er veredelt das Fleisch und stellt Spezialitäten wie Salsiz und Trockenfleisch daraus her.

Gut für die Tiere und die Qualität

Dank dem modernen Schlachthof direkt im Tal sind die Transportwege für die Bauern kurz. Das ist gut für die Tiere, die Umwelt und die Fleischqualität. Und nicht zuletzt wird die wirtschaftliche Standortattraktivität des Tals gefördert, was ganz im Sinne des regionalen Naturparks Biosfera Val Müstair ist.

Lorenz Teschenett
In der Bacharia Val Müstair stellt Lorenz Spezialitäten wie Salsiz und Trockenfleisch her.
Die kurzen Wege zum Schlachthof haben grosse Vorteile. Die Tiere sind dadurch ruhig und entspannt.

Lorenz Tschenett

Der Biodiversität zuliebe

Frühmorgens mit Futtergabel und Gummistiefel im Stall zu stehen und wenig später mit Fleischermesser und Hygienehaube in der Metzgerei, ist für Lorenz ganz normal – und ganz schön anstrengend. Darum mag er die Sommermonate, wenn das Vieh auf der Alp ist und in der Metzgerei weniger los ist. Dann ist er mit Leib und Seele Bauer und mäht die steilen Ökowiesen auf seinen Maiensässen bei Terza. Diese dürfen erst ab Mitte Juli geschnitten werden; die Blumen sollen lange blühen, den Insekten und der Biodiversität zuliebe.

Lorenz Tschenett
Lorenz mag das Bauersein, weil er zusammen mit der Natur arbeiten muss und nie genau weiss, was der Tag bringt.

Das gute Heu kommt von oben

Der grösste Teil seiner landwirtschaftlichen Nutzfläche befindet sich oberhalb von 1800 Metern, wo das Heuen aufwändig ist. Doch es lohne sich. «Das gute Heu kommt von hier, wo wir nur ganz wenig Mist einsetzen», sagt der Bio-Bauer. Lorenz mag das Bauersein, weil er zusammen mit der Natur arbeiten muss und nie genau weiss, was der Tag bringt. «Ein besonderer Moment ist, wenn das Heu drinnen ist und es zu regnen anfängt. Das liebe ich, dann schlafe ich wie ein Murmeltier.»

Lorenz Tschenett
Lorenz arbeitetet gerne und viel – aber eine Pause zwischendurch braucht es auch.

Nah an der Natur

Lorenz ist beides gerne: Bauer und Metzger. Sowieso arbeitete er gerne und viel. Nur im Büro zu sitzen, mag er weniger. Er ist froh, dass sich seine Frau Tatjana, um die Buchhaltung und Schreibtischarbeit kümmert – so gut das mit drei kleinen Töchtern geht. «Hier im Val Müstair, in dieser grossartigen Landschaft arbeiten zu dürfen, schätze ich sehr», so der Familienvater. «Und ich bin dankbar, dass auch meine Kinder hier aufwachsen können, nah an der Natur und mit Tieren.»

In dieser grossartigen Landschaft arbeiten und leben zu dürfen, schätze ich sehr.

Lorenz Tschenett

Lorenz Tschenett
Lorenz mit seiner Familie.
Lorenz Teschenett
Lorenz liebt es, viel Zeit auf seinem Maiensäss oberhalb Müstair zu verbringen.

Lorenz selber ist direkt an der Landesgrenze grossgeworden. Sein Vater war Grenzwächter und erhielt eine Wohnung im Zollhaus von Müstair. Der kleine Lorenz interessierte sich aber weniger für die Ein- und Ausfuhr von Gütern, sondern vielmehr für die Tiere und Maschinen auf dem Bauernhof seiner zwei Onkel.

Der Traum vom eigenen Hof

«Ich wollte schon immer Bauer werden.» Doch Lorenz entschied sich für eine Lehre als Metzger. «Mir wurde immer gesagt, es sei wichtig, etwas Richtiges zu lernen», sagt er lachend. Zudem waren seine Onkel noch jung, er hatte somit keine Aussicht, deren Hof in absehbarer Zeit übernehmen zu können. Und sich einfach anstellen lassen, wollte er nicht. Lorenz ist gerne sein eigener Chef.

Der Traum vom eigenen Hof
Lorenz Tschenett
Lorenz hat sich seinen Traumberuf als Landwirt erfüllt.

Gelernt hat er das Fleischer-Handwerk bei Hatecke in Scuol, einer Metzgerei, die weit über die Kantonsgrenzen bekannt ist. Ihm war es wichtig, die Lehre ausserhalb des Tals zu machen, aber auch nicht allzu weit von der geliebten Heimat. Scuol war perfekt. Der körperlich fordernde Metzgerberuf sagte ihm zu und der Traum vom eigenen Bauernhof schien weit weg.

Einmal den eigenen Bauernhof zu führen, war schon mein Bubentraum.

Lorenz Tschenett

Plötzlich Bauer – mit 21 Jahren

Doch das Leben hält oft überraschende Wendungen bereit – so auch bei Lorenz. Unverhofft musste sich ein Onkel aus gesundheitlichen Gründen vom Bauernbetrieb zurückziehen. Also fragte dieser den Neffen – der Metzger war, aber gerne Bauer wäre – ob er übernehmen möchte. Lorenz musste nicht lange überlegen. Sein Bubentraum wurde mit jungen 21 Jahren wahr.

Sommerweizen im Val Müstair

Bio-Weizen aus Müstair

Lorenz absolvierte die Zweitausbildung zum Landwirt und lebt seinen Traumberuf seit nunmehr 18 Jahren. Er ist Bio-Bergbauer, hat prächtige Mutterkühe und betreibt auch Ackerbau im Tal. Zwei Hektaren Sommerweizen pflanzt er an. «Mit dem Mähdrescher den Weizen zu ernten, ist ein tolles Gefühl.» Doch das Metzgen liess ihn nie ganz los, er jobbte weiterhin bei Hatecke und zerlegte in einem Nebenbetrieb Wildtiere für Jägerinnen und Jäger.

Bio-Weizen aus Müstair

Moderner Schlachthof direkt im Tal

Lorenz versteht das Metzgerhandwerk, kennt aber auch die Seite des Bauers, der liebevoll Kälber aufzieht. So war es klar, dass eigentlich nur er als Betreiber der neuen «Bacharia Val Müstair» in Frage kommt. Der moderne Schlachthof mit Fleischverarbeitung ist seit 2021 in Betrieb und ein regionales Wirtschaftsförderungsprojekt unter dem Dach von «Agricultura Val Müstair». Eigentümerin ist eine Genossenschaft aus Bauern und Jägerverein, während Lorenz die Bacharia Val Müstair als Pächter betreibt.

Moderner Schlachthof direkt im Tal

Agricultura Val Müstair besteht aus drei Bereichen: der Käserei (Chascharia), der Metzgerei (Bacharia) und der Getreidesammelstelle. Ziel ist es, das Bündner Südtal weiterzubringen, attraktive Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen. Untergebracht sind die Betriebe in einem modernen Gewerbekomplex am Dorfeingang von Müstair. Hier werden die qualitativ hochstehenden Bio-Produkte hergestellt. Die Käse aus der Chascharia Val Müstair sind schon mehrfach prämiert worden, zum Beispiel mit Gold an den World Cheese Awards.

Lokal produziertes Bio-Fleisch

Auch die Fleisch-Spezialitäten, die Lorenz zusammen mit einem Mitarbeiter herstellt und veredelt, sind exquisit und von Bio-Qualität. Er produziert auf Auftrag der verschiedenen Bauern, welche die Salsize, Würste und das Frischfleisch selber vermarkten und verkaufen, sei es an die lokale Gastronomie oder in Hofläden, Online-Shops und auf Bestellung. Auch Lorenz verkauft Fleisch und Salsize, aber nur en gros, so ab 20 Stück.

Lokal produziertes Bio-Fleisch

Rund 700 Tiere werden in der Bacharia Val Müstair pro Jahr verarbeitet: Etwa 140 Rinder und Kälber, gut 100 Lämmer und 50 Schweine; dazu 400 Wildtiere aus der Bündner Jagd und auch von Jägern, die Reviere haben. «Mir ist wichtig, dass die Schlachtungen ruhig ablaufen», sagt Lorenz. Er schaue penibel darauf, dass die Tiere nie lange alleine sind, sondern immer ein Artgenosse um sich haben.

Wissen, woher das Fleisch kommt

Wer sich für die Betriebe der Agricultura Val Müstair interessiert, der kann sich für eine Führung anmelden. Auch Lorenz gibt gerne Auskunft. Eine offene und ehrliche Gesprächskultur zum Thema Fleischkonsum oder Jagd ist ihm wichtig. Auch gegenüber seinen Kindern. «Meine Töchter wissen, woher das Fleisch kommt, das wir am Familientisch essen.»

Arbeit auf dem Feld.
Lorenz ist ganz und gar Familienmensch.

Mit der ganzen Familie

Lorenz ist ganz und gar Familienmensch. Die wenige Freizeit, die er hat, verbringt er am liebsten mit Frau und Kindern. «Den Sonntag versuche ich immer freizuhalten», sagt er. Dann gehen die Tschenetts gerne wandern oder auf eine Bergtour. «Piz Terza, Piz Daint, Piz Umbrail – meine Kinder waren schon überall. Was wir sicher jedes Jahr machen, ist eine Wanderung zum Lai da Rims – diese ist einmalig schön.»

Den Sonntag versuche ich immer für meine Familie freizuhalten.

Lorenz Tschenett

Lorenz Tschenett mit seiner Familie.
Gemeinsame Zeit mit der Familie.

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